"Der Haushund im Fadenkreuz der Meinungsmacher". Ein Diskussionsbeitrag von Günther Bloch

Seit über 30 Jahren erforscht Günther Bloch die Verhaltensweisen von Wölfen und Hunden. Und das zumeist in deren natürlicher Umgebung. Bloch geht hinaus in die Wildnis und beobachtet mit Geduld und Hingabe das Leben im Wolfs- oder verwilderten Hunderudel. Etliche Male musste er aufgrunddessen überkommene Auffassungen revidieren, und hat dies immer auch öffentlich getan. Dass ihn seine Fachkompetenz nicht dazu verleitete, zu den bereits existierenden „ultimativen“ Hundeerziehungskonzepten noch eins hinzuzufügen, ist ihm dabei hoch anzurechnen. Wir können also davon ausgehen: was Bloch sagt, hat Hand und Fuß.
Auf seiner Website Hunde Farm Eifel hat er einen Diskussionsbeitrag über die derzeitige Situation des Haushundes in unserer Gesellschaft veröffentlicht. Der Text enthält kurz und knapp eigentlich alles, was es grundsätzlich zu diesem Thema zu sagen gibt.
Die Kernthesen lauten:

  • Die Domestikation vom Wolf zum Hund ist eine großartige menschliche Kulturleistung.
  • Verhalten und Emotionen von Mensch und Hund haben sich im Verlauf vieler Jahrhunderte flexibel angepasst. Das Positive in dieser Beziehung gerät zunehmend in Vergessenheit.
  • Leider reduzieren unverantwortliche Stimmungs- und Meinungsmacher das Hundeverhalten in einer polemisch geführten Debatte mehr und mehr auf Gefährlichkeit und Aggression.
  • Massaker durch Hunde sind extrem selten. Aber der Hund ist ein Beutegreifer, der unter ungünstigen Voraussetzungen eine Herausforderung darstellen kann. Hier ist Besonnenheit statt Pauschalisierung gefragt.
  • Hunde sind keine instinktgetriebenen Maschinen. Sie kommunizieren ihre Bedürfnisse sowohl auf einer biologischen als auch sozio-emotionalen Ebene.
  • Unverantwortliche Halter müssen bestraft und isoliert werden. Wir brauchen gleichzeitig ein System, worin sozialsichere Hunde und ihre Halter belohnt werden.
  • Die freie Markwirtschaft produziert leider häufig kranke, schlecht sozialisierte und angstaggressive Hunde. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
  • Der Hund ist ein Lauftier. Die Antwort auf viele Probleme sind großflächige Auslaufflächen.
  • Hier die Dokumentation des ganzen Textes.

    Der Haushund (Canis lupus f. familiaris) im Fadenkreuz der Meinungsmacher

    Von Günther Bloch
    Grundsätzliche Überlegungen zum heutigen, teilweise geradezu bizarren Status des Haushundes in unserer „modernen“ Gesellschaft (März 2011)
    Mit der Domestikation vom Wolf zum Hund hat der Mensch zweifelsohne eine gewaltige Kulturleistung vollbracht. Wie neueste wissenschaftliche Untersuchungen beweisen, enstanden unabhängig voneinander aus unterschiedlichen Wolfssubspezies erste „Urhundepopulationen“ sowohl in Zentralasien, dem vorderen Orient und in Nordafrika (Dingoartige, Pariahunde, Spitzartige). Das älteste literarische „Hundedenkmal“ stammt aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. (Homers Odysee). Hier schildert der Held von Troja, dass sein Jagdhund Argos ihn nach 20 Jahren Abwesenheit noch erkennt und daraufhin stirbt, so als hätte er nur noch auf dessen Rueckkehr gewartet.
    Eine Beziehung der besonderen Art:
    Über Jahrtausende haben Mensch und Hund etliche Höhen und Tiefen einer gemeinsamen Kulturgeschichte durchschritten. Viele namhafte Forscher vertreten die Meinung, die rasant anmutende Evolutionsentwicklung des Menschen wäre ohne eine dauerhafte Präsenz und Hilfestellung des Hundes gar nicht möglich gewesen. Nicht nur als Arbeitstier hat der Hund seine Tüchtigkeit und seinen Nutzen nachgewiesen, u.a. bei der Jagd und der Bewachung von Nutzvieh. Unabhängig dieser originären Verwendungszwecke gingen Mensch und Hund eine kulturelle und ökologische Allianz ein. Der vierbeinige Begleiter des Menschen fand breite Aufnahme in unserer Lebenswelt, in Hausständen und Familien, in unserem sozialen Umfeld. Schon der römische Dichter Martial besang einst ein kleines Hündchen namens „Issa“, das als Luxusgeschöpf in einem vornehmen Haus sein Leben verbrachte.
    Im Verlauf der Jahrtausende haben sich Verhalten und Emotionen von Mensch und Hund flexibel angepasst. Zusammen lebt man nachweislich gesünder. Doch in unseren „modernen“ Zeiten scheint all das Positive, das Mensch/Hund-Beziehungen ausmacht, bisweilen in Vergessenheit zu geraten.
    Der Haushund am Pranger:
    Unverantwortliche Menschen reduzieren Hundeverhalten pauschal auf „Gefährlicheit“ und/oder „Aggression“. Es ist ausgesprochen ärgerlich, wenn bestimmte Zeitgenossen aus Eitelkeit hundetypische Verhaltensweisen bis zur Unkenntlichkeit verallgemeinern, um sich selbst in den Vordergrund zu schieben. Reflexartiges Geschrei ersetzt keine Tugenden wie Sachkunde. Von einigen erfreulichen Ausnahmen abgesehen, klangen viele Medien- und Politikerstimmen, die seit mehr als einem Jahrzehnt die Standards der öffentlichen Debatte setzen so, wie schlecht informierte Meinungsmacher normalerweise zu klingen pflegen: schrill, polemisch, mit Hang zur maßlosen Übertreibung.
    Wenn es um die Verhaltenseinschaetzung von „auffälligen“ Haushunden geht, argumentieren viele selbst ernannte Wortmelder ganz bewusst nicht gerade trennscharf. Wozu auch? Schließlich ist es ziemlich einfach, brodelnde Empörung bei der zahlenmäßig weit überlegenen Lobby der Nichthundehalter zu entfachen. Das zwangsläufige Ergebnis: Die Stimmungsmache, am liebsten gegen den „aggressiven Haushund“ an sich, hat Hochkonjunktur. Die schwammige Definition „Kampfhund“ ist zum Alltagsbegriff verkommen. So können auch die wenigen Nachdenklichen oftmals gar nicht anders als solcherart Stilmittel zu übernehmen. Und dieser ständig übersteuerte „Sound“ (der z. B. in einem total bizarren Gebilde Schulterhöhe = Gefahreneinstufung gipfelt) und der den Hund mindestens seit einer Dekade als unberechbares Monster anprangert, scheint keine Mittellage mehr zu kennen. Der nach oben hin aufgerissene „Sound-Regler“ gestaltet eine Integrationsdebatte von Hundegegner und Wohlmeinenden unnötig schwierig.
    Wer zieht einen Trennungsstrich der Klarheit schafft?
    Pro oder kontra Hund – die Gesellschaft ist tief gespalten. Zugleich aber beleuchtet der Streit um „den besten Freund“ des Menschen, wie nötig die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist. Das Problem ist so drängend, dass eine bundesweit tätige Arbeitsgruppe eingesetzt werden müsste, um endlich den eigentlich wichtigen Fragen nachzugehen. Dies wäre die Chance, etwas Einzigartiges zu kreieren. Gemeinsam mit wirklichen Fachleuten. Es geht ja um mehr, um weit mehr als nur die Verhinderung einer „womöglich“ verheerend blutigen Attacke.
    Massaker durch Hunde sind selten, extrem selten. Dennoch gilt es Restrisiken deutlich zu benennen. Beutegreifer, wie der vom Wolf abstammende Hund, stellen unter ungünstigen Voraussetzungen eine Herausforderung dar. Besonnenheit ist vonnöten, nicht Verhaltenspauschalierung. So könnte sachliche Politik bzw. Berichterstattung aussehen, ohne Panikmache, ohne parteitaktische Manöver, ohne eitle Mäzchen.
    Nur gut unterrichtete Menschen fühlen sich wirklich aufgehoben:
    Konzentrierte Kompetenz wird nur dann zum Vertrauensträger, wenn unverantwortliche Hundehalter isoliert, bekämpft und wann immer möglich bestraft werden. Gleichwohl geht es – vielleicht zurzeit vor allem – um die zirka fünf Millionen Menschen, die sich täglich nebst hundlicher Begleiter in der Öffentlichkeit aufhalten, ohne dass es zu irgendwelchen Zwischenfällen kommt. Diese Menschen fühlen sich durch den zurzeit praktizierten Aktionismus in Form unsinniger Rasselisten, methodenloser Wesenstests und planlos verordneten Leinenzwangmaßnahmen zu recht diskriminiert. Das ernüchternde Fazit nach Jahren des Streits: Deutschland ist auf eine umfassende, länderübergreifende Beziehungsbeurteilung Mensch/Hund schlecht vorbereitet. Die bisher in Kraft getretenen Landeshundeverordnungen wirken schlichtweg willkürlich.
    Persönlichkeit ist mehr wert als Perfektion:
    Diffamierungen und Wutausbrüche prägen das Bild, wenn das Zusammenleben mit Tieren unbestreitbare Mängel aufweist. Aber das tut es nun einmal. Nein, perfekt soll sie sein, die Mensch/Hund-Beziehung. Verkündet wird die Illusion vom jederzeit netten Hund ohne jegliches Aggressionspotential, kontrolliert und top-gemanagt von seinem jederzeit vernünftig differenzierenden Halter. Erfreulicherweise verspüren schlauere Zeitgenossen wenig Neigung, einer solchen Illusion Glauben zu schenken. Warum tut sich ausgerechnet der „Individualist“ Mensch so schwer, Hunde als individuelle Persönlichkeiten mit Stärken und Schwächen zu akzeptieren?
    Gelänge das, wäre es schon viel. Hunde kommunizieren Bedürfnisse gleichermaßen über eine biologische wie sozio-emotionale Ebene. Sie sind keine Instinkt getriebenen Maschinen. Es ist schon seltsam, dass dieses wichtige Thema bisweilen noch für Erstaunen und Verblüffung sorgt. Stattdessen zu „echten“ Pauschalurteilen, wie etwa die Vorstellung vom „genormten Rasseverhalten“, Vorverurteilungen an vielen Fronten.
    Der unverstandene Hund: die weiteren Aussichten:
    Um eine bestmögliche Integration von Haushunden in unsere Menschengesellschaft zu erreichen, gibt es abseits derzeitiger Gepflogenheiten etliche Spielräume für Verbesserungen. Das Motto lautet: Verbessert die Anreize, verbessert die Institutionen! Dann wird eine entkrampfte Diskussion zum Thema Hund in unserer Gesellschaft auch (wieder) möglich – wenn der Ehrliche und Verantwortungsvolle nicht der Dumme ist! Was ist konkret damit gemeint?
    Beispiel Hundesteuer:
    Wenngleich es jeden Stadtkämmerer erfreuen mag, Mehreinnahmen durch extrem erhöhte“Kampfhundesteuern“ zu erzielen, handelt es sich um nichts anderes als einen weiteren Griff in die Klamottenkiste. Neue Regeln in Form eines Malus- und Bonussystems müssen her: Wer einen umwelt- und sozialsicheren Hund besitzt, bezahlt rasseunabhängig weniger Steuern, im Umkehrfall einen höheren Steuersatz.
    Beispiel lasche Zuchtkontrollen:
    Alle impirischen Indizien weisen daraufhin, dass eine freie Marktwirtschaft der unzureichend überprüften Massenzuchtstätten kranke, schlecht sozialisierte, oftmals angst-aggressive Hundewelpen „produziert“. Solcherlei bedauernswerte Kreaturen kommen sowohl aus Deutschland als auch vermehrt aus osteuropäischen Ländern, die als EU-Mitglieder politisch zur Verantwortung gezogen werden müssen.
    Beispiel Zunahme an Hundeunverträglichkeit:
    Eine positive Entwicklung von Mensch und Hund in öffentlichen Grünanlagen liegt in unser aller Interesse. Falsch verstandener Protektionismus und Lobbyismus ist nicht das, was wir wollen. Das Lauftier Hund (per Verordnung) an der kurzen Leine, ohne regelmäßigen Kontakt mit Artgenossen, ohne Möglichleit zur Interaktion und zum Spiel fördert bekanntlich Frustation und Aggression. Diese Lektion sollte zum Umdenken führen. Großflächige Hunde-Auslaufflächen sind die Antwort.
    Bleibt ein letzter Kritikpunkt:
    Die regierenden Parteien votieren stets für eine HVO-Verschärfung, Oppositionsparteien fast immer dagegen. Bemerkenswert, oder?
    Hunde Farm Eifel. Website von Günther Bloch – hier klicken.

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Eingeordnet unter Mensch und Hund, Neues aus Canidistan

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